Cover
Titel
Cattolicesimo magico. Un’indagine etnografica


Autor(en)
Marzano, Marco
Erschienen
Milano 2009: Tascabili Bompiani
Anzahl Seiten
187 S.
Preis
ISBN
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
David Zimmer, Bern

Das Buch des 47-jährigen Sozialwissenschafters und Professors an der Universität Bergamo besteht aus drei Teilen: Im ersten Teil berichtet der Autor von einer sechstägigen Reise zum herzegowinischen Marienwallfahrtsort Medjugorje (http://www.medjugorje.hr), die er zusammen mit einer italienischen Pilgergruppe über Neujahr 2006 unternommen hat (In partibus fidelium. Uno strano pellegrino nella fabbrica della salvezza, 5–62). Im zweiten Teil erzählt er von seinen Erfahrungen als Teilnehmer eines Evangelisierungskurses des Rinnovamento nello Spirito Santo (RNS; http://www.rns-italia.it) in der Lombardei in einem der darauffolgenden Jahre («Dove soffia lo Spirito». L’America è arrivata fin qui: lo strano caso dei carismatici cattolici, 63–144). Und im dritten Teil führt Marzano diese beiden Feldforschungsberichte in einer Analyse zusammen, arbeitet Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Medjugorje-Pilgerbewegung und dem charismatischen RNS heraus und skizziert mögliche Entwicklungslinien des Katholizismus im 21. Jahrhundert (Cattolicesimo magico, 145–182). Abgeschlossen wird das Buch, das zahlreiche Verweise auf die wissenschaftliche Fachliteratur, aber nur wenige Anmerkungen enthält, mit einer 4-seitigen Bibliographie.

Der feldforschungserfahrene Autor hat sich seinem Untersuchungsgegenstand mittels teilnehmender Beobachtung genähert, die er (hier in Bezug auf Medjugorje) als «esperienza etnografica davvero eccezionale» beschreibt: «[...] un’immersione totale e prolungata in un mondo di cui conoscevo poco o nulla, rispetto al quale ero, fino in fondo, straniero. [...] in nessun caso sono mai penetrato sul campo in modo così diretto, senza retroscena in cui ripararmi, senza il tempo di riprendere fiato dopo una scoperta eccezionale. » (55) Der Spagat zwischen (zurückhaltender) Teilnahme und (kritischer) Beobachtung ist ihm im allgemeinen gelungen, auch wenn er im Feld wiederholt zu einem aktiv(er)en Mitmachen aufgefordert worden ist. Seine persönlichen Überzeugungen und die wahren Motive für seine Teilnahme hat er den Pilgern, Kursteilnehmern und Organisatoren gegenüber nur soweit nötig offengelegt; die Leser seiner «autobiographischen Erzählung» wissen jedoch, dass Marzano eine katholische Erziehung genoss, später zum bekennenden Atheisten wurde und sich seit einigen Jahren zunehmend für religiöse Fragen interessiert (und zwar sowohl auf persönlicher als auch auf wissenschaftlicher Ebene). Von seinen Feldforschungen ist der Autor mit zwiespältigen Gefühlen zurückgekehrt, «con un misto di incantata fascinazione e di preoccupata inquietudine» (Buchumschlag).

Zwischen der Medjugorje-Pilgerbewegung einerseits und dem Rinnovamento nello Spirito Santo andererseits bestehen, wie der Autor schreibt, zahlreiche Unterschiede: «[...] Medjugorje è, per molti aspetti, l’espressione di un cristianesimo tradizionale, millenarista, assai poco ecumenico e molto cattolico mentre quella del Rinnovamento è, per qualche verso, la traduzione italiana di un’esperienza religiosa squisitamente post-conciliare, ecumenica, globalizzata, ‹americana›, centrata sull’individuo, naturalmente aperta al sincretismo. » (151) Marzano ist freilich überzeugt, dass insgesamt gesehen die Gemeinsamkeiten überwiegen: Aufgrund seiner Beobachtungen rechnet er beide Bewegungen dem charismatischen Katholizismus zu, der eine vereinfachte «Prêt-à-porter»-Religiosität propagiert, die individuelle Beziehung zu Gott in den Vordergrund stellt und davon ausgeht, dass himmlische Mächte unmittelbar in den Lauf der Geschichte und ins persönliche Leben eingreifen, die Menschen selbst hingegen nur bedingt darauf Einfluss nehmen können: «[...] la ‹destorificazione del divenire› è il congegno simbolico, il principale apparato culturale che accomuna i mariani di Medjugorje e i militanti del Rinnovamento. In definitivo, la vera cifra del carismatismo per come lo intendo qui. Perlomeno di quello all’italiana.» (164)

Während die Zuordnung zum charismatischen Katholizismus einleuchtet – selbst wenn in Medjugorje auch noch andere kirchliche Strömungen vertreten sind –, ist die Zuordnung der Medjugorje-Pilgerbewegung und des Rinnovamento nello Spirito Santo zum titelgebenden «magischen Katholizismus» problematisch. Denn mit letzterem scheinen althergebrachte volksreligiöse Praktiken gemeint zu sein, die auch jenseits des charismatischen Katholizismus vorkommen und die von den Medjugorje- und RNS-Aktivisten zum Teil sogar explizit abgelehnt werden. Dass der Titel des Buches und des dritten Teils auf die Kontinuität volksreligiöser Praktiken – «Vero basso continuo della nostra civiltà» (154) – verweist und nicht auf die Kombination von vormodernen und (post-) modernen Glaubensvorstellungen und -praktiken, wird letztlich weder der charismatischen Religiosität noch der Analyse von Marzano gerecht.

Die Stärke des Buches liegt darin, dass der Autor die beiden Bewegungen aus der Perspektive des Pilgers bzw. des Kursteilnehmers darstellt. Auf diese Weise gelingt es Marzano, charismatische Praktiken, Methoden und Mechanismen, die aus der wissenschaftlichen Fachliteratur bekannt sind, mit viel «O-Ton» zu veranschaulichen und verschiedene neue Aspekte herauszuarbeiten. Die Stärke des Buches ist jedoch gleichzeitig auch seine Schwäche: Die Analyse erfolgt wenig systematisch und ist zum Teil widersprüchlich, viele verwendete Begriffe bleiben unscharf konturiert, und der Stil ist umgangssprachlich, stellenweise salopp, ja gar sarkastisch. Marzano ist denn auch vorgeworfen worden, seine Ausdrucksweise in diesem Buch sei «non all’altezza di un saggio di etnografia» (Paolo Calabrò, http://www.ilrecensore.com/wp2/2010/01/medjugorje-unsaggio-intellettuale, 11.01.2010).

Zitierweise:
David Zimmer: Rezension zu: Marco Marzano, Cattolicesimo magico. Un’indagine etnografica, Milano, Tascabili Bompiani, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 540-541

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in
Weitere Informationen
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
-
Verfügbarkeit
-